Innovation und Sicherheit – geht das zusammen?

Wenn eine Branche von Natur aus konservativ und risikomeidend dann, dann Versicherungen. Über Jahrhunderte sind sie gut damit gefahren. Sicherheitsdenken ist tief in den Kulturen der meisten Firmen verankert. Doch nun werden sie zu Innovation gewzungen, sonst werden sie untergehen.

Die Digitalisierung wirbelt die altangestammten Regeln durcheinander. Für Kunden sind die Konditionen der einzelnen Versicherer so transparent und vergleichbar wie nie. Im Privatkundenbereich ermöglichen Portale die Einsicht in Testergebnisse, den Preisvergleich, die Kündigung beim Altversicherer und den Neuabschluss des Vertrages in einem Akt. Das drückt die Preise und die Margen, da die Provisionen an die Plattformen gehen und hohe Preise erheblich schwerer beim Kunden durchzusetzen sind. Noch sind die wechselfernen, älteren Generationen zahlenmäßig in der Überzahl, aber spätestens die Generation Y und nachfolgende werden kaum so etwas wie Treue und Loyalität gegenüber Privatunternehmen aufrechterhalten, und aus Bequemlichkeit nicht zu einem anderen Versicherer zu geringeren Preisen mit mindestens gleich guten Konditionen zu wechseln ist spätestens dann kein Thema mehr.

Das aber noch größere Schreckgespenst wäre der Markteintritt der Online-Datenkranken US-amerikanischer Provenienz. Dieses konnte in der Vergangenheit vielleicht noch als Schauergeschichte aufmerksamkeitsheischender Keynote-Speaker abgetan werden, aber inzwischen ist die Bedrohung real geworden. Kein geringerer als Amazon bietet bereits auf einigen Feldern Versicherungen an und hat en passant auch Kooperationsvereinbarungen mit Großbanken geschlossen. Hinzu kommen Insurtechs und andere Dienstleistungsunternehmen ganz anderer Branchen, die aber über einen unmittelbaren Marktzugang zu großen und attraktiven Kundengruppen haben. Über ihre Datenschätze können sie erheblich besser erkennen, welche Aktivitäten und Bedürfnisse verschiedene Kundenzielgruppen verfolgen und in den lukrativsten Segmenten maßgeschneiderte Angebote machen. Für die klassischen Versicherer blieben in diesem Szenario zumindest im Privatkundenbereich dann recht bald nur noch Feldwaldundwiesen-Versicherungsprodukte über, deren Gewinne zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel wären.

Da die notwendigen Veränderungen Zeit brauchen und die etablierten Versicherer nicht eben Rennpferde sind tun bahnbrechende Ideen Not. Schließlich ist das Fügen in den Niedergang die schlechteste Option. Während die Devise in der Vergangenheit lautete „keine Fehler machen“ muss deshalb nun zunächst in der Kundenbetreuung, im Marketing und in der Produktentwicklung „trial and error“ und „klug und schnell aus Fehlern lernen“ heißen

Eine weitere Antwort wäre, die „sexy Stories“ der Start-up und Insurtechs nicht den Branchenoutsidern zu überlassen, sondern selbst anzugreifen. Kannibalisierung bedeutet strategisch, lieber sich selbst Konkurrenz zu machen, als dies anderen zu überlassen.

Um so aggressiv und agil zu werden, müssen die Versicherer noch weiter und tiefer gehend ihre Strukturen verändern, um die über Jahrzehnte entstandenen Silos zu schleifen und die unmittelbare Kooperation über die verschiedenen Funktionen hinweg zur Normalität werden zu lassen.

Sicher wird es auch frisches Blut auf allen Ebenen der Hierarchie brauchen. Doch auch unter den vorhandenen Mitarbeitern und Führungskräften gibt es viele mit ausreichend Elan, um die Sturm und Drang-Zeit der Branche einzuläuten. Sie müssen nur ungeachtet der altvorderen Prinzipien von Seniorität, Ochsentour und Machtpolitik auf die entscheidenden Positionen gebracht werden, um wirklich etwas bewegen zu können. Nur durch Sonntagsreden und eine Serie gepflegter Workshops wird keine Organisationskultur verändert. Überleben werden letztlich nur die Versicherer, die bereit sind, die entsprechend klaren Entscheidungen zu fällen und alte Zöpfe abzuschneiden.

Selbst in den behäbigsten Unternehmen schlummert das Potential zur Erneuerung. Es braucht wohl Weitsicht, Mut und Konsequenz, um die gebotenen Einschnitte durchzusetzen.